Christine Feld Im Rahmen meines Forschungsprojekts "Das Fandom von Harry Styles als moderne Sakramentserfahrung? Eine Auseinandersetzung mit Gemeinschaft, Identität und Glauben" arbeite ich mit der soziologischen Methode der teilnehmenden Beobachtung.
Ein Protokoll.
Holmes Chapel - 28.8.2024
Am 28. August 2024 fahren wir nach Holmes Chapel, dem Ort, in dem Harry Styles aufgewachsen ist. Wir sind gerade im Urlaub in Manchester und hatten bereits bei der Planung beschlossen, diesen Ort zu besuchen – ca. 40 Minuten mit dem Zug entfernt.
Anfangs bin ich mir unsicher, in welcher Rolle ich hier bin. Als Mutter zweier "Harries" oder auch als Fan? Ich verstecke mich ein bisschen hinter der Mutterrolle, da ich nicht sicher bin, ob ich ohne unsere Kinder hierhergekommen wäre. Es fühlt sich seltsam an, Harry und seiner Familie so nah zu kommen. Außerdem frage ich mich, wie die Menschen in Holmes Chapel über die vielen Fans denken.
Die Zugfahrt verläuft entspannt, obwohl ich kurz an meinem Glauben an „treat people with kindness“ zweifle, als zwei deutsche Harries neben uns im Zug über das "Trinken" auf Malle reden. Angekommen, treffen wir auf eine freundliche ältere Frau am verschlossenen Bahnhofshäuschen, das Harry Styles gewidmet ist. Sie zeigt uns den Weg und erzählt von der Bäckerei, in der Harry gearbeitet hat. Ihre Freundlichkeit erleichtert mich – es scheint, als würden die Harries hier willkommen sein.
Unsere erste Station ist ein chinesisches Restaurant, in dem Harry und Taylor Swift einmal zusammen gegessen haben.
Weiter geht es durch das Dorf zum „Twelmlow Viaduct“ oder „Harries Wall“, dem Ort, an dem Harry seinen ersten Kuss hatte. Hier hinterlassen Fans Nachrichten an Harry. Auf dem Weg dorthin spüre ich plötzlich eine seltsame Vertrautheit, als würde ich durch das Viertel in Cambridge laufen, in dem ich lange gelebt habe. Eine unerwartete Verbundenheit zu Harry entsteht.
Es regnet stark, und wir treffen auf zwei dänischen Harries. Sie schützen ihre Schuhe mit Plastiktüten – Adidas Gazelles, die typischen „Satellite Stompers“ der Harries. Ich bedaure, dass ich meine nicht anhabe, da sie mir als Zeichen meiner Zugehörigkeit wichtig sind. Wegen des Wetters habe ich mich für andere Schuhe entschieden. Stattdessen trage ich - immerhin - einen Glitzerstein im Gesicht.
Als wir das Viadukt erreichen, fehlen uns leider die Stifte, die wir gekauft hatten, um Nachrichten zu hinterlassen. Doch andere Fans haben Stifte zurückgelassen – tpwk in Aktion. Ich lese die Nachrichten an der Wand, viele davon rühren mich zu Tränen. So viel Liebe, Hoffnung und Dankbarkeit. Der Ort hat eine besondere Energie, und ich merke, wie ich mich von der distanzierten Beobachterin zur Teilnehmerin wandle.
Meine Töchter schreiben ihre Botschaften an die Wand, und schließlich entscheide ich mich auch, meinen Namen und das Datum zu hinterlassen. Es ist schwierig, auf der rauen Oberfläche zu schreiben, aber am Ende steht meine Botschaft da, ergänzt um den Ort des Harry-Konzerts, bei dem ich war. Auch wir hinterlassen eine Familiennachricht auf einer der neuen schwarzen Platten am Zaun des Viadukts.
Zufrieden und bewegt machen wir uns auf den Rückweg ins Dorf.
Wir besuchen kurz das Geschäft mit Harry Styles Holmes Chapel Merchandise, kaufen aber nichts. Leider ist die berühmte Bäckerei, in der Harry gearbeitet hat, geschlossen, sodass wir nur das Foto von ihm als Verkäufer durch das Fenster sehen können. Nach einem kurzen Stopp im Supermarkt essen wir in einem Pub, der uns den Eindruck gibt, dass auch Harry hier Zeit verbracht haben könnte.
Zurück in Manchester entdecke ich einen Instagram-Post der BBC Manchester über das Viadukt und erfahre, dass die neuen schwarzen Platten gerade erst am Tag vor unserer Ankunft angebracht wurden. Das verleiht meinem Besuch eine besondere Bedeutung. Am nächsten Morgen schickt mir eine Freundin einen Screenshot eines Guardian-Artikels: „Within 24 hours, Harries from far away as the US and Germany had left messages on the new wall.“ Das bin ich! Ich besorge mir sofort den Guardian als gedruckte Ausgabe.
Zu meiner großen Freude taucht unsere Nachricht auch in einem ITV-News-Bericht auf – und zwar in Großaufnahme! Die Berichterstattung macht meinen Besuch in Holmes Chapel noch bedeutsamer. Jetzt ist klar: Ich bin nicht nur Beobachterin, sondern Teil des Fandoms. Ich bin mitten drin.
